Rezept

Jage die Ängste fort
und die Angst vor den Ängsten.
Für die paar Jahre
wird wohl alles noch reichen.
Das Brot im Kasten
und der Anzug im Schrank.

Sage nicht mein.
Es ist dir alles geliehen.
Lebe auf Zeit und sieh,
wie wenig du brauchst.
Richte dich ein.
Und halte den Koffer bereit.

Es ist wahr, was sie sagen:
Was kommen muss, kommt.
Geh dem Leid nicht entgegen.
Und ist es da,
sieh ihm still ins Gesicht.
Es ist vergänglich wie Glück.

Erwarte nichts.
Und hüte besorgt dein Geheimnis.
Auch der Bruder verrät,
geht es um dich oder ihn.
Dein eignen Schatten nimm
zum Weggefährten.

Feg deine Stube wohl.
Und tausche den Gruss mit dem Nachbarn.
Flicke heiter den Zaun
und auch die Glocke am Tor.
Die Wunde in dir halte wach
unter dem Dach im Einstweilen.

Zerreiss deine Pläne. Sei klug
und halte dich an Wunder.
Sie sind lang schon verzeichnet
im grossen Plan.
Jage die Ängste fort
und die Angst vor den Ängsten.

Mascha Kaléko


Nein, es ist kein Rezept für ein gutes Essen. Es ist ein Rezept gegen die Angst. In unserem gemeinsamen neuen Leben seit Corona kennen wir beide Seiten - die Angst, aber auch das Festhalten an Normalitäten: wir grüßen den Nachbarn, wir flicken unseren Zaun und haben irgendwie doch einen Alltag im Ausnahmezustand. 

Gestern war ich endlich einmal in Engelstadt. Es ist so schön dort. Schon die Fahrt durch die rheinhessische Frühlingslandschaft ist wunderbar. Engelstadt selbst und auch Bubenheim strömen eine tiefe Vertrautheit aus. Ich habe ein bisschen Post ausgefahren. Kleine Lebenszeichen. 

Wie gut tun die Lebenszeichen, das Singen auf dem Balkon, das Schwätzchen beim Spazierengehen (auch mit Abstand), Muizierende auf dem Dalles (unter ihnen Pfarrer Lotz mit seiner Trompete) und wie gut, wenn es wirklich bei uns ist und nicht irgendwo, nicht nur im Fernsehen, sondern doch fühlbar in nächster Nähe. 

Mascha Kaléko war Jüdin und lebte auch während des zweiten Weltkriegs. Ihr zu Ehren ein Bild der Synagoge in Dornum in Ostfriesland.


 

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