Karfreitagsgedanken von Pfarrer Hartmut Lotz



 10.04.2020

 Tag 25 in der Corona-Fastenzeit. Karfreitag.


 Hier der Link zu "Auf ein Wort" aus der Engelstadter Mauritiuskirche


https://youtu.be/_OIyw7ALmfE

Hier der Text zu den Karfreitagsgedanken:


»Und Jesus schrie laut und verschied.« So endet Jesus nach der Erzählung des Markusevangeliums. Es ist zu Ende, aus und vorbei. Das kurze Le­ben eines leidenschaftlichen Menschen, eine brennende Liebe, herausgerissen in den besten Jahren, ausgerottet mit Stumpf und Stiel, niedergemacht, ausgelöscht. Der göttliche Mensch, liebevoll wie keiner, der menschliche Gott, zugewandt wie nie­mand, er schreit und stirbt. Es ist göttlicher Kahlschlag. Sie kennen das von Winterstürmen oder dem scham­losen Raubbau an den Obstbäumen rund um unsere Dörfer. Was bleibt, ist ein erbärmlicher Anblick, ein grausames Bild. Das Ereignis am Kreuz, der Schrei des Ge­rechten, der da gefoltert und getötet wird, der Tod des Gottes­sohnes – was sie hinterlassen, das ist ein Kahlschlag der Menschlichkeit. Wie es scheint, hat der Tod gesiegt, da hat das Leben keinen Platz mehr. Alle Hoffnungen sind zerbrochen, wer von diesem Mann aus Nazareth Großes erwartete, der ist nun bitter und schmerz­lich enttäuscht; wer ihn liebte, dem zerreißt es das Herz; wer ihm vertraute und mit ihm zog, der ist jetzt allein ... Und Jesus schrie laut und verschied. Ein Kahlschlag der Hoffnungen, und die Reste an Sehnsucht fallen den Borkenkäfern der Verzweiflung anheim.

Das Kreuz – es ist das Zeichen des Todes. Abgestorben und öd steht das Holz des Kreuzes in der Krise der Welt. Wird als Zeichen auf die Särge angebracht, die sich in vielen Ländern stapeln. Aber Chris­tinnen und Christen haben es immer auch anders gesehen. In seiner Grausamkeit durchaus – denn grausam wütet der Tod in der Welt und grausam kann das Schicksal von Menschen sein – aber das Kreuz weist über sich hinaus. Es ist das Zeichen der göttlichen Liebe zuerst, und kein Tod, kein Schicksal, keine Grausamkeit kann diese Liebe binden und halten; aufbrechen muss sie, aufbrechen wird sie die Fesseln des Todes. Um der Liebe Gottes willen treibt das Holz des Kreuzes aus, der Kreu­zesstamm trägt grüne Triebe. Durch die Katastrophe hindurch entsteht neues Leben. Das Kreuz wird zum Lebensbaum.

Das Kreuz ist nicht das Ende, das Kreuz ist der Wendepunkt, vom Kreuz Jesu an, von diesem Punkt der überschwänglichen, le­bendigen Liebe an, geht es zurück in die Gemeinschaft mit Gott, wird alles wieder, wie es einst gemeint war. Wir können aufatmen, nicht Kahlschlag, sondern Ausschlag. aus dem Totholz brechen Triebe hervor, hier und da blüht es schon, und es duftet nach Leben.

Alles wird gut. Andrà tutto bene. Aber – es wird nicht alles gut! Ich sehe die Verzweiflung in den Krankenhäusern. Wer wird behandelt, wer bleibt mit sich und dem Sterben allein. Es ist ein Virus, das uns den Atem nimmt. Obsiegt nicht doch das tote Holz des Kreu­zes, bleibt es nicht doch trocken und hart? Wo sind die Triebe, wo sind die aufbrechenden Zweige, die Zeichen der Hoffnung, die erfüllten Träume? Wo ist der Glanz neuen Lebens, der Mut macht, der durchatmen und aufbrechen hilft?

Es ist das Geheimnis des Kreuzes, dass seine ganze Kraft, sein Durchsetzungsvermögen nicht einfach vor Augen liegt. Das Kreuz bleibt das Symbol der Niederlage, wird nicht zum Zeichen des Triumphes – durch den Tod hindurch dringt das Leben, durch den Winter, durch die Dunkelheit der Erde hin­durch treibt der Spross. Das Leben, das Gott schenkt, ist teuer erkauft. Das ist so, weil Gott uns nicht fortreißen, ausreißen und ins Schlaraffenland versetzen will, das ist so, weil Gott uns liebt – Liebe ist zart, sie lässt dem Wachstum Raum, das erst zaghaft beginnt, und sie lässt sich auf unser Schicksal, unsere Ängste ein, sie überspringt sie nicht einfach, sondern durch­dringt sie. Und darin, darin ist die Liebe, ist das Leben, unwiderstehlich, mächtiger als jede Macht, mächtiger und stärker noch als der Tod. Das tote Holz des Kreuzes bringt lebendige Triebe hervor, der Kreuzesstamm wird nicht erschüttert. Auch nicht durch ein Virus namens Corona. Hilde Domin hat das in ihrem Gedicht "Bitte" in wundervolle Worte gesetzt:

Wir werden eingetaucht und mit dem Wasser der Sintflut gewaschen ,
wir werden durchnässt bis auf die Herzhaut.
Der Wunsch nach der Landschaft diesseits der Tränengrenze taugt nicht,
der Wunsch, den Blütenfrühling zu halten, der Wunsch, verschont zu bleiben, taugt nicht.
Es taugt die Bitte, dass bei Sonnenaufgang
die Taube den Zweig vom Ölbaum bringe .
Dass die Frucht so bunt wie die Blüte sei, dass noch die
Blätter der Rose am Boden eine leuchtende Krone bilden.
Und dass wir
aus der Flut , dass wir aus der Löwengrube und dem feurigen Ofen
immer versehrter und immer heiler stets von neuem zu uns selbst entlassen werden.

Amen
 

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