Auf ein Wort - zum Sonntag Judika, 03.04.2022

Auf ein Wort (zum Sonntag Judika, über Mk 10,35-45) 

Reserviert ! – wie viele von uns erleben das im Urlaub. Schon vor dem Frühstück haben die ersten die besten Liegen am Strand mit ihren Handtüchern in Beschlag genommen und zeigen so: diese Liege ist reserviert. Auch wenn Reservierungen an sich ja nicht schlecht sind. Es ist tatsächlich angebracht, möglichst nicht in der Hochsaison einfach so aufzubrechen in der Hoffnung, dass mein favorisiertes Hotel noch Zimmer für mich hat. Frühzeitig reservieren, auch in der Bahn hilft es zumeist, wenn nicht allzu viele Züge ausfallen, einen Platz zu haben. Reservieren also hat durchaus seine Berechtigung. Aber im Gottesdienst? Ich erinnere mich, in Engelstadt zu Beginn meiner Dienstzeit wurde noch Wert gelegt, dass bestimmte Bänke für bestimmte Familien aus dem Dorf reserviert seien. Das hat Menschen, die zum ersten Mal im Gottesdienst waren, damals vor den Kopf gestoßen. Zum Glück ist diese Form der Reservierung dann schnell verschwunden. Als ich mit meiner Kollegin Martina Schott 2016 eine Studienreise nach Italien in die Waldensertäler westlich von Turin leitete, sah ich in einer Waldenserkirche in Torre Pellice diesen reservierten Platz vor mir. Ein roter Schal über die Bank gelegt, eine rote Tasche auf dem Sitz und vor der Bank ein paar rote Schuhe. Ich konnte mir dazu keinen Reim machen, musste mich erst durchfragen. Auf die Antwort, die ich erhielt, müssen Sie noch ein wenig warten. Bis dahin widmen wir uns dem biblischen Text. Die beiden Zebedäus-Brüder, Jakobus und Johannes, möchten gerne reservieren. Zwei Plätze im Reich Gottes. Ihre Platzreservierungswünsche sind besonderer Art. Sie möchten die Plätze links und rechts von Jesus einnehmen. Sie drücken mit ihrem Wunsch die Nähe zu Jesus aus, die sie sich auch im Reich Gottes wünschen. Wie gesagt, der Wunsch ist durchaus verständlich, aber hinter ihnen hören mindestens 10 andere mit, die vielleicht auch den gleichen Reservierungswunsch haben. Wie wird Jesus darauf reagieren? Zunächst einmal mit einer etwas unverständlichen Antwort: Ihr wisst gar nicht, was ihr euch wünscht. Ihr wisst nicht, worum ihr bittet. Die Reservierungswünsche der Zebedäus-Brüder haben etwas Egoistisches. Sie wünschen etwas, aber - für sich. Und das setzt andere zurück. Sie bitten, aber ihnen ist die Konsequenz ihrer Bitte nicht bewusst. - (kurzer Exkurs: Wissen wir, worum wir bitten, wenn wir uns Frieden wünschen in dem Krieg in der Ukraine? Geschieht das zur Beruhigung meiner ureigensten Ängste vor Krieg und Gewalt? Will ich mir nur die Flüchtenden aus der Ukraine und aus Russland vom Hals halten? Wir beten für die Ukraine, die sich gegen das mächtige Russland wehrt – mit Waffen, die genauso tödlich sind, wie die der Russen. Mit unseren Friedensgebeten, so nötig sie sind, können wir nicht dem Dilemma entkommen, dass wir mit unseren Gebeten letztlich auch nur an uns selber denken und das Leben, das wir vor dem Krieg – und vor Corona hatten – und das wir uns wieder zurück wünschen. – Exkurs Ende) 
Meist sind wir uns bei unseren Wünschen nicht klar, welche Konsequenzen das hat. Jesus schiebt noch eine Antwort nach. Ihr wisst, wie es in der Welt zugeht. Wie die Mächtigen die Kleinen unterdrücken und mit Gewalt überziehen. So ist es bei euch nicht. Jesus sagt nicht: so soll es bei euch nicht sein, sondern: so ist es bei euch nicht. Wer groß sein will, der diene anderen, und wer der größte unter euch sein will, der diene allen. Die Nähe zu Christus bemisst sich darin, nicht für sich selbst zu reservieren. Den Platz im Reich Gottes erhalten wir aus Gnade und Glauben. Der ist längst reserviert, mit unserer Taufe. Aber der taugt nicht für egoistisches Wünschen. Der andere Pol meines Christseins ist der Blick für den oder die Anderen. Biblisch ist das mit „Dienen“ gemeint. Weil für mich gesorgt ist, öffne ich den Blick für den Nächsten. Und jetzt zu dem Bild oben mit der Platzreservierung in der Waldenserkirche. Posto occupato – Platz besetzt – heißt es da. Und mit dem roten Schal, mit der Tasche auf dem Platz und den roten Damenschuhen vor der Bank, vergegenwärtigen sich die Christinnen und Christen in den Waldensergemeinden der Zehntausenden von Frauen, die jedes Jahr in Italien Opfer von Gewalttaten werden, zumeist im häuslichen Umfeld. Jede Frau, die in Italien ums Leben kommt, soll in ihrer Kirche einen Platz haben mit ihrer Geschichte, mit ihrer wertgeschätzten Person. Posto occupato – ist ein stiller Protest gegen häusliche Gewalt von Männern gegenüber Frauen. Eine Kirche, eine Gemeinde, die dient, kommuniziert auch mit ihrem GottesDIENST das Wort Gottes, das Frieden und Versöhnung stiftet zwischen Gott und mir. Und dieser Friede sucht den Dienst an und mit denen, die in dieser Welt unter die Räder geraten.

 Beim nächsten Gebet überlege ich mir genau, worum ich bitte.

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